"Aspekte ländlicher Kulturarbeit- Soziokultur in ländlicher Region"- Textauszug aus der Festrede von Fr. Prof. Dr. Helene Kleine, am 12. Mai 2010 anlässlich der Verleihung des Preises des Fonds Soziokultur.
70 % der Menschen in Deutschland, so informiert uns die Enquete des Bundestages, leben aber
nicht in den großen Städten, den Metropolen und Hauptstädten, sondern in Kleinstädten, in
Mittelzentren, im Umland, in Dörfern, auf dem flachen Land. Das gilt auch für die jungen Leute,
mit denen ich zu tun habe. Man muss sie erst dazu bringen, sich mit ihrem Leben auf dem Lande
auseinander zusetzen, mit der Frage, was sich auf dem Lande an Kunst und Kultur tat.
Auf dem Lande sind es ja nicht die klassischen Institutionen und Orte bürgerlicher Kulturpflege,
die das kulturelle Leben ausmachen. Sie finden hier eben nicht das Theater, das Konzerthaus, die
Oper, das Museum, den Mega – Event der Kulturindustrie, das Kino und höchstens eine
versprengte Jugendkulturszene.
In den Dörfern und kleinen Städten sind es häufiger die Feste entlang der Jahreszeit oder,
nach wie vor, entlang des Kirchenjahres. Feste, die die Menschen gestalten und die sie
zusammen bringen. Es sind die Vereine, der Geschichtsverein, der Heimatverein, Naturschutz,
die Chöre und Musikvereine, Musikschulen, Volkshochschulen und Bibliotheken, die die
Kulturszene tragen. Oder es sind engagierte Persönlichkeiten, die ein besonderes Interesse an
der Kunst haben und dieses dann möglicherweise auch aufs Land bringen – wie Henri Nannen
die Kunsthalle in Emden.
Damit ist ein erster Aspekt der Kulturarbeit auf dem Lande benannt: es ist das
zivilgesellschaftliche Engagement der Einzelnen und der Gruppen. Darin liegt eine große
Chance für die Zukunft! Deshalb verdient die Kulturarbeit auf dem Lande mehr
Wertschätzung und Aufmerksamkeit!
Ein weiterer Aspekt
Die Tradition der Soziokultur:
Wer vom Fond Soziokultur einen Preis oder eine Förderung bekommt, begibt sich in die Tradition der Soziokultur und
schreibt an seiner Zukunft mit.
Der Fond Soziokultur als Fördermittelgeber und Preisgeber ist eng mit der Kulturpolitischen Gesellschaft verbunden.
Die Kulturpolitische Gesellschaft ist vor etwas mehr als 30 Jahren gegründet worden −
übrigens aus einer Akademie, der Akademie Loccum in Niedersachsen heraus − von
Persönlichkeiten aus der kulturellen und kulturpolitischen Szene, von Personen, die etwas
ändern wollten in der nach wie vor sehr tradierten, auf traditionelle Kulturpflege
ausgerichteten Kulturpolitik. Das Motto der KuPoGe lautete und lautet nach wie vor
»Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik«! Kultur ist, wie die Menschen leben! In der Kultur, in der
Kunst wird immer wieder die Frage danach gestellt, wo kommen wir her, was macht uns aus,
was hat uns geprägt und wie wollen wir, wie können wir in Zukunft leben!
Die soziokulturell Aktiven haben in den 70er Jahren angefangen, Zentren zu gründen, die
Jugendarbeit zu revolutionieren. Sie haben Häuser besetzt und neue Räume für Kunst und
Kultur an vormals »verbotenen Orten«, in verlassenen Gebäuden und Anlagen von Industrie
und Verkehr (»in Zechen, Bahnhöfen und Lagerhallen«) geschaffen. Sie haben es darauf
angelegt, die Grenzen zwischen dem bildungsbürgerlichen Publikum und den Leuten, die wenig
mit Kunst und Kultur am Hut haben, die von der kulturellen Bildung ausgeschlossen waren und
sind, zusammen zu bringen. Sie arbeiten selbstverwaltet und initiativ. Sie überschreiten die
Grenzen zwischen den Generationen, Grenzen zwischen den Schichten und den Kulturen.
Die soziokulturellen Akteure waren es, die sich eingemischt haben, nicht nur in die Kulturszenen
ihres Ortes, sondern über die Kultur hinaus, in Bürgerinitiativen gegen »Flächensanierung«
=Abriss, in die Friedensbewegung, in die Antiatomkraftbewegung, in die Ökologiebewegung. Sie
wollten und wollen aufklärerisch sein, emanzipatorisch, vielfältig.